02.08.2012
60 Worte pro Minute - 60 WRD/MIN ART CRITIC
Die Chicagoer Kunstkritikerin Lori Waxman rezensiert auf der documenta 13 öffentlich Kunst von jedermann. Etablierte Künstler, Studierende, Hobbymaler - sie alle können nach vorheriger Terminabsprache Werke in Waxmans blauer Hütte an der Schönen Aussicht vorbeibringen.
60 Worte pro Minute Kunstkritik |
60 WRD/MIN ART CRITIC |
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Marie-Pascale Devignon-Tripp ist eine Malerin verschiedenartiger Themen. Vier Bilder zeigen vier Motive, die nichts miteinander zu tun haben: eine Explosion, Frauen, die Reis ernten, die geschmeidigen Gesten einer Skulptur aus einem Hindutempel und die romantische Brühe der Melancholie. Und dennoch ist es so, als wäre dieselbe Farbpalette irgendwie von einer Leinwand zur nächsten gewandert, hätten Ultramarin und Indigo, Apfelgrün und Aubergine, ja sogar schimmerndes Gold, sich in jede Szene eingebracht. Man kann daraus schließen, in welchem Maße es einem Künstler möglich ist, dieselben Materialien zu verwenden und dabei doch ganz unterschiedliche Dinge hervorzubringen. Doch auch eine weitere Lehre kann daraus gezogen werden. Sie wird durch den unvermeidlichen Vergleich und Gegensatz nahe gelegt, der sich bei solchen Dingen aufdrängt. Bei drei von den vier Bildern von Devignon-Tripp, sitzt die Farbe, tropft und hängt, an Texturen, welche die Künstlerin aus Modellierpaste und einer Art formbaren Papier auf den Leinwänden angebracht hat. Auf zwei dieser Bilder schimmert Goldfarbe unter den anderen Farben. Hier werden die Bilder lebendig – sie weinen, tanzen, explodieren. Nur der Reis, der unter der strahlenden Sonne hätte leuchten können, bleibt ungeerntet. — Lori Waxman, 25. Juli 2012, 16.03 Uhr |
Marie-Pascale Devignon-Tripp is a painter of many themes. Four pictures present four unrelated subjects: the burst of an explosion, the women’s work of harvesting rice, the sinuous gestures of a Hindu temple sculpture, the romantic muck of melancholia. And yet, it is as if the very same palette has somehow travelled from canvas to canvas, applying ultramarine and indigo, apple green and eggplant, even shimmery gold, to each scene. There’s a lesson here, about how an artist can use like materials to create unalike things. But there’s another, too, suggested by the inevitable compare and contrast one can’t help but make between such things. In three of Devignon-Tripp’s paintings, color sits and drips and hangs on textures that the artist built up on the canvas surface out of modeling paste and a kind of moldable paper. In two of these paintings, gold paint shimmers among the other colors. The pictures come alive here—crying, dancing, exploding. Only the rice, which could have glimmered in the bright sun, goes unharvested. —Lori Waxman 7/25/12 4:03 PM |
Zur PersonLori Waxman (36, geboren in Montreal) ist freie Kritikerin unter anderem für die "Chicago Tribune" und "Art Forum". Sie lehrt am School of the Art Institute in Chicago. Sie hat in Montreal, Chicago, Lancaster und New York Kunstgeschichte studiert und an der New York University promoviert. Waxman hat auch Essays, Katalogbeiträge und Bücher veröffentlicht. Waxman ist verheiratet und Mutter einer zweieinhalbjährigen Tochter. (vbs) |
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